Samstag, 31. März 2007

BERLIN IST DIE EINZIGE STADT DER WELT,

IN DER IN ALLEN HIMMELSRICHTUNGEN OSTEN IST! Diesen Spruch hat mir W. aus L. zur Verfügung gestellt, ich selber kannte ihn bis dato nicht, nicht den W. sondern den Spruch, aber er schien mir ziemlich passend für meine Story zu sein, die in der Vergangenheit und in Berlin spielt...

Letztens fand ich ein ururaltes Notizbüchlein, und darin standen Notizen und auch Telefonnummern von Leuten, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Es war ein interessantes Büchlein, wenn auch ein wenig verwirrend, zum Beispiel der hingekleckste Eintrag: „fahren gleich nach drüben“...
Der nächste Eintrag war seltsamerweise mit Lippenstift geschrieben, deswegen ziemlich groß und rot geraten:


„Teestube gut,


K. kennengel.“



Ich dachte wirklich angestrengt darüber nach, bis sich die Schleier der Vergangenheit ein wenig hoben. Diese Einträge mussten aus den Jahren 1967 oder 1968 stammen.

Ich war zu dieser Zeit zweimal in Berlin, Tschuldigung, damals hieß es natürlich noch Westberlin. Einmal im Winter zu einer Demonstration und einmal im Herbst mit einer Freundin. Aber was hatten die kryptischen Lippenstiftaufzeichnungen zu bedeuten?
Es war mühsam zu rekonstruieren, aber mittlerweile habe ich herausgefunden, dass die Demonstration nach der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg (die Kommilitonen redeten von Ermordung) stattfand, und es muss im Winter 1967/68 gewesen sein.
An die Demonstration selber kann ich mich kaum erinnern. Zu dieser Zeit war ich in einem Club Mitglied, der ein wenig (hahaha) links orientiert war. Ich war aber nur nebenbei dort, denn die Jungs waren nicht übel... Nee, was bin...äääh war ich für ein oberflächliches Ding.
Fast alle Mitglieder des Clubs hatten regen Kontakt zu Leuten in der Ostzone. Genau, Ostzone! Niemand nannte die DDR „DDR“, man nannte sie höchstens „sogenannte DDR“. Aber das waren schon richtige Linke, die so etwas taten – oder Geschäftsleute... Gemeinhin wurde dieses fremde Land als SBZ bezeichnet, und das hieß so viel wie: Sowjetisch Besetzte Zone. Und die war so weit entfernt und unerreichbar, als läge sie in einer anderen Galaxis. Aber Westberlin - eine kapitalistische Enklave mitten im sozialistischen Umfeld der „SBZ“ – konnte man als Westdeutscher (und somit als Bürger des one-and- only-state) gut erreichen.

Wir fuhren also nach Westberlin, um an dieser Demonstration teilzunehmen. Wir fuhren mit einem Bus hin, und wir dachten alle, wir wären die Guten. Wir waren ja schließlich Sozialisten und links und überhaupt - was sich an der Grenze aber ganz anders darstellte.
Man ließ uns aussteigen, und wir mussten uns in einen kleinen Raum begeben, der mit Holzbänken ausgestattet war und der fürchterlich nach Desinfektionsmitteln stank (das vermuteten wir jedenfalls). Man ließ uns zwei Stunden dort sitzen, bis alle Formalitäten abgewickelt waren, unter anderen mussten wir einen Fragebogen ausfüllen, warum, weshalb und wieso wir nach Westberlin wollten, obwohl die Penner doch sicher wussten, warum weshalb und wieso wir dorthin wollten.
Aber endlich ging es doch weiter. Es war Winter, und es gab nichts Trübsinnigeres als diese Autobahn, die gleichzeitig auch die Transitstrecke nach Westberlin war. Man fühlte sich sehr allein und einsam. Weit und breit war kaum anderes Auto zu sehen, und wenn dann waren es natürlich welche aus der BRD (Bundesrepublik Deutschland), die sich penibel an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten. Man hatte wohl schon davon gehört, dass zu schnelles westdeutsches Fahren eine der wichtigsten Devisenquelle des ostdeutschen Staates war, abgesehen von gewissen anderen.
Aber diese verlassene Autobahn war auch schön, die Sonne schien, es war lausig kalt draußen, das spürte man, denn die Kälte zog durch die Ritzen des Busses hinein und machte kalte Füße, aber draußen zogen Birkenwälder mit raureifbedeckten Ästen an uns vorbei, und der Himmel strahlte in einem blassen Blau. Doch, es war schön, eintönig zwar und einsam, aber schön.
Auf dem letzten Stück vor der Einfahrt nach Westberlin war die Autobahn durch Panzer gesichert, die QUER an ihrem erhöhten Rand standen, und diese Panzer machten einen sehr bedrohlichen Eindruck. Sie hätten bloß losrollen müssen, dann hätten sie jedes Fahrzeug zerquetscht...

Egal, Westberlin!

Was für ein Leben auf den Straßen, vor allem im Vergleich zu der tödlichen Einsamkeit der Transitstrecke. So viele Menschen und vor allem so viele Autos! Leben eben!
Wir übernachteten in einer Jugendherberge, Machten am nächsten Tag die Demo mit, sahen Rudi Dutschke (Moment einmal, das Attentat auf Rudi Dutschke fand im April 1968 statt, also muss es 1967/68 gewesen sein), waren richtig gut drauf und riefen Sprüche wie: Ho Ho Ho tschi min!
Eine französische Gruppe rief Sprüche wie: US assasins, liberez le vietnam! (Übersetzung von einer, die wirklich nichts vom Französischunterricht behalten hat: Ihr amerikanischen Mörder! Gebt Vietnam frei! Oder so ähnlich.
War halt die übliche Prozession und dauerte die üblichen zwei Stunden.
Aber ich war nicht „drüben“, und ich kann mich auch nicht daran erinnern, in einer „Teestube“ gewesen zu sein. Ich kann mich eigentlich nur an die Demo erinnern, alles andere ist verschwommen.

Also muss es bei der anderen Reise passiert sein:

Es war im Herbst, und ich flog mit meiner Freundin Marlis nach Westberlin. Es war mein erster Flug überhaupt, und die Fluggesellschaft war die „British Airways“. Deutsche Airlines (es gab damals nur die Lufthansa) durften Westberlin nicht anfliegen.
Wir wohnten bei meiner Tante, die wiederum in einem winzigen nicht weit vom Ku’damm entfernten Appartment wohnte.
Es war eine grandiose Zeit, wir waren in Kreuzberg in angeblichen Künstlerkneipen, wir waren bis in die Puppen in anderen Kneipen, denn in dieser schönen Stadt gab es keine Sperrstunde, und es gab großzügige Menschen, die netten Mädels aus dem Ruhrgebiet die Getränke ausgaben...

Und natürlich fuhren wir nach Ostberlin.

Wir fuhren mit der S-Bahn, und die Formalitäten waren erstaunlich kurz. Man wollte nur unsere Kohle. Ich glaube, es waren 20 DM, und das kam uns damals sehr teuer vor. Aber die Versuchung war zu verlockend, dieses exotische Land einmal in Natura zu sehen. Für diese 20 Mark erhielten wir einen gewissen Gegenwert im Werte von 20 Ostmark. Das war, wie wir später feststellen mussten, eine grandiose Summe, nur leider konnte man sich nicht viel dafür kaufen.
Als wir in Ostberlin ausstiegen, sah alles ziemlich normal aus. Nur ein Typ nervte uns, er quatschte uns permanent an und wollte Kugelschreiber von uns haben. Ich überließ ihm schließlich meine beiden.
Danach versuchte ich, Zigaretten an einem Automaten zu ziehen, das klappte hervorragend, der Automat schluckte das leicht Ostmarkzeug und spuckte dafür Zigaretten aus. Aber die schmeckten beschissen, erst einmal waren sie ohne Filter, und sie schmeckten eben beschissen. Ich weiß leider nicht mehr, wie sie hießen. Irgendwas mit „Karo“ oder so ähnlich.
Aber die Bauten waren unbeschreiblich überwältigend, die Straßen waren sehr breit, und vor allem waren kaum Autos auf den Straßen zu sehen. Vielleicht kamen sie mir deswegen so breit vor.
Als wir uns müde gelaufen hatten, wollten wir in das neue riesige Cafe am Alexanderplatz gehen, aber da war es brechend voll, und wir hatten keine Lust, uns in die Warteschlange einreihen. Ein paar Nebenstraßen weiter fanden wir ein anderes Cafe, es erinnerte an ein Wiener Kaffeehaus, und es war fast leer. Der Kaffee schmeckte ein wenig dünn, aber der Apfelkuchen war klasse, wenngleich die Sahne dazu gar keine richtige Sahne war, sondern wohl aus dem Versuch einer geschlagenen Kondensmilch bestand.

Am Bahnhof nervte uns dann wieder ein Typ, der unbedingt Kugelschreiber haben wollte. Ich hatte keinen mehr, aber Marlis fand noch einen...

Wir fuhren also heim, wirklich heim in das Leben, von weitem sahen wir schon die freundlichen Lichter von Westberlin, es war so, als wären wir heimgekehrt (auch wenn ich mich wiederhole, es war so). Und der Ku’damm begrüßte uns mit prallem Leben.
Wir fanden schließlich in einer Nebenstraße eine Kneipe, die uns vorzüglich gefiel. Sie hieß „Teestube“, die Typen darin sahen alle nicht schlecht aus, und wir kamen ganz gut bei denen an, vor allem Marlis, die aussah wie eine Mischung aus großäugigem Rehlein mit Schmollmund und einem Vamp im Minirock und überkniehohen weichen Wildlederstiefeln. Marlis selber war fast perfekt und überwältigend, aber meine Beine waren schöner als ihre. Na immerhin etwas!
Und ich lernte tatsächlich einen sehr interessanten Typen kennen, er sah zwar nicht klassisch schön aus, war dafür aber sehr intelligent und zynisch. Er trat in der Teestube auf als Mitglied einer Zweiertruppe, genannt die „Edelweiß-Sisters“. Natürlich vertiefte ich diese Bekanntschaft nicht, ich war damals viel zu jung für so etwas, ich fühlte mich nur wahnsinnig geschmeichelt, dass dieser Typ, dessen rechtes Auge irgendwie total vermatscht aussah, sich irgendwie für mich interessierte. Wahrscheinlich herrschte Frauenmangel in Westberlin.

Oh, allmählich kommt’s mir! Ich hatte keine Kugelschreiber mehr, weil alle in Ostberlin geblieben waren und schrieb deswegen meine Notizen mit Lippenstift in mein kleines rotes Büchlein. Das war’s dann. Alles fast klar!

Seltsamerweise fand ich noch einen Eintrag mit K. in meinem kleinen roten Büchlein. Es war zur Zeit der Essener Songtage, als ich im ehemaligen Olympia-Kino war, um diverse Gruppen anzuschauen, unter anderem die „Mothers of Invention“ mit Frank Zappa. Und wieder lernte ich K. kennen, der mittlerweile recht berühmt geworden war, und wieder vertieften wir unsere Bekanntschaft nicht.
Ich hatte nämlich irgendwie meine Tasche verloren mit allem möglichen Zeugs drin und ging lieber nach Hause als in das Zeltlager am Baldeneysee, wo die ganzen Berühmtheiten campierten und wohin mich K. eingeladen hatte. Als ich eine halbe Stunde später zuhause war, brachten mir wohlwollende Festivalbesucher meine Tasche vorbei, aber da war es natürlich zu spät, um ins Camp zu fahren und der Lust zu frönen. Quatsch, Lust! Auch zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht so weit. Ich war eben die absolute Spätzünderin.

Was hätte also unter anderen günstigeren Umständen werden können zwischen K. und mir? Ich denke: Nichts.

PS: Mittlerweile habe ich festgestellt, dass die Freundinnenreise die erste Reise war, und zwar fand sie im Herbst 1967 statt.
Die Fakten sprechen dafür:
02.06.1967: Benno Ohnesorg wird erschossen
11.04.1968: Attentat auf Rudi Dutschke
??.09.1968: Essener Songtage

Ist aber auch egal...


und verflucht lang geworden!

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