THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 9

Die engere Verwandtschaft:

Aber noch waren meine Ferien nicht vorbei. Wenn dann endlich meine Tante Lisa in Daarau eintraf, kannte mein Glück keine Grenzen. Ich durfte nie Tante zu ihr sagen, denn sie meinte, wir wären wie Schwestern, und tatsächlich trennten uns altersmäßig nur zwölf Jahre. Sie fuhr ein winziges Auto und war überhaupt eine der wenigen Frauen, die nicht nur den Führerschein besaß so wie meine Mutter zum Beispiel, sondern ihn auch benutzte – und das sogar in einem eigenen Auto und nicht in dem des Ehemanns. Lisa war sehr ehrgeizig, sie arbeitete als Therapeutin in vielen Instituten, zum Beispiel im Max-Planck-Institut in Dortmund, sie hatte eine Vorliebe für klassische Musik, speziell für Opern, in denen Maria Callas sang, und sie hatte ein Faible für Königspudel. Lisa war klein, zierlich und sehr hübsch mit ihrer hellen zarten Haut, dem weißblonden Haar und den feinen Gesichtszügen. Die Männer waren schwer hinter ihr her, aber sie scheute es, sich früh zu binden. Als sie sich mit vierundzwanzig Jahren dann doch schwer verliebte, entpuppte sich der Mann, er war groß, sehr gut aussehend und so ein Gentleman-Typ, als ein „Geschiedener“ mit fünf Kindern. Sie ließ ihn sausen. Ich weiß heute noch nicht warum. War es damals so schlimm, geschieden zu sein? Gut, fünf Kinder waren ein bisschen viel, wenn man die auf einmal kriegte. Oder konnte sie ihm seine Unehrlichkeit nicht verzeihen, weil er ihr nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hatte? Ja vielleicht war es das.

verwandte...

Ähnlich hübsch aber nicht ganz so extravagant war meine Tante Irmgard, allerdings ohne den Hang zur Koketterie, der Lisa auszeichnete. Tante Irmgard hatte eher etwas ländlich-mütterliches.

Aber egal, Lisa fuhr mit mir in ihrem winzigen Fiat in der Gegend herum. Wir fuhren in den Harz, wir fuhren nach Hannover, wir fuhren überall herum. Lisa ging mit mir essen und war stolz auf mich, weil ich so gut mit dem Besteck umgehen konnte. Klar, sie hatte mir alles beigebracht.

Lisa war ein bisschen verrückt und so spritzig wie Sekt. Als sie versuchte, mit dem Moped von Onkel Hartmut (Dorfpapagalli) ein paar Runden zu drehen, fand sie die Bremse nicht und fuhr die Tür zum Hühnerstall des Gutshofes ab, weil die blöderweise gerade offen stand. Ich und alle anderen haben uns gekringelt vor Lachen. Sie fuhr nicht im Hühnerstall Motorrad sondern am Hühnerstall...

Ich liebte Lisa, natürlich liebte ich auch Tante Irmgard, aber auf andere Weise. Lisa war wirklich die ältere Schwester für mich, und ich lernte viel von ihr. Tante Irmgard war mehr wie eine Mutter für mich, und ich glaube, das brauchte ich auch irgendwie.

Ein Jahr nach der Hochzeit meiner Tante Irmgard mit Onkel Friedhelm, kurz Friedel genannt, stand in der Wohnküche eine Wiege, und in dieser Wiege lag ein Baby, als ich pünktlich zu Beginn der Ferien in Daarau eintraf. Meine Mutter brachte mich meistens mit dem Zug hin und fuhr dann nach zwei Tagen wieder zurück. Ich war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt.

Das Baby war meine erste Cousine und hieß Michaela.

Sie war so süß und hübsch! Ich strich ihr über das flaumige Haar und freute mich gewaltig. Endlich ein Baby! Meine Eltern hatten mir immer ein Geschwisterchen vorenthalten. Bis ich merkte, dass Tante Irmgard angefangen hatte zu weinen. Ich schaute sie fragend an, weil ich absolut nicht wusste, weshalb sie weinte.

Es stellte sich heraus, sie weinte, weil das Baby eine Hasenscharte hatte, die Oberlippe war ein bisschen gespalten, aber es sah wirklich nicht schlimm aus, und ich hatte es gar nicht gesehen. Tante Irmgard schien froh darüber zu sein, und aus weiteren Gesprächen, die sie mit meiner Mutter führte, konnte ich hören, dass sie schon an eine Operation dachte, um diese Scharte sozusagen auszuwetzen.

Ich glaube, ein Jahr später war Michaela schon operiert. Man sah nur noch eine zarte Narbe an ihrer Oberlippe, und diese Narbe gab ihr einen zusätzlichen Charme, sie sah nämlich ein bisschen aus wie ein Kätzchen... Und tatsächlich gewannen meine sowieso schon herrlichen Ferien noch etwas an Qualität dazu: Eine Cousine zum Spielen.

Ende Teil 9
Bolle Lehmann - 23. Jun, 20:38

Ich hatte auch so eine Moppedtante, nur fuhr die in einen Misthaufen. Die kleinen Moppeds hießen bei uns "Hühnerschreck".

Iggy - 23. Jun, 20:57

tja diese wilden tanten!

scheinen ja gar nicht so selten gewesen zu sein...

und die kleinen moppeds auch nich.
antworten
Bolle Lehmann - 23. Jun, 21:30

Solche Geschichten werden immer auf Tanten-Geburtstagen zum Besten gegeben.
So auch die Geschichte , daß von Gluckenmist auf den Kopf geschmiert die Haare wachsen.
Noch vor einigen Jahren habe ich gedacht Gluckenmist und Hühnermist ist das gleiche, aber weit gefehlt.
antworten
Iggy - 23. Jun, 21:39

wie was? wo ist denn der unterschied

von gm zum hm?
antworten
Bolle Lehmann - 23. Jun, 22:31

Sie haben beim brüten einen veränderten Stoffwechsel daher ist auch der Gluckenmist verändert, jeder der da mal reingetreten ist weiß da ein Liedchen von zu singen wer unmittelbar daneben steht auch. Er duftet wirklich grauenvoll.
antworten
Iggy - 23. Jun, 22:46

oh hilfe,

ich meine förmlich, das zu riechen,
aber vielleicht ist es ja wirklich gut für neue haare - ich sag jetzt nicht: gegen haarausfall.
;-))
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