THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 12

Die Dorfkneipe:

In den früheren Zeiten gab es in Daraau zwei Dorfkneipen, und beide hatten immer gut zu tun, was für den Durst und die Geselligkeit der Dorfbewohner spricht. Irgendwann aber wurde eine davon nur noch als Lottoannahmestelle genutzt und außerdem als Filmvorführsaal, denn das richtige Kino war fünf Kilometer weit entfernt in der Kleinstadt. Als ich meinen ersten Film dort sah, in diesem staubigen Saal, hatte ein junger männlicher Verwandter von mir dort einen epileptischen Anfall. Es war grauenhaft, nie werde ich seine Krämpfe und Zuckungen vergessen...

In der anderen Dorfkneipe traf man fast nur Männer an, vor allem beim sonntäglichen Frühschoppen vor dem Mittagessen. Das war reine ‚Men’s World’. Während der Duft von Schweinebraten in der Luft lag und vielleicht der Duft von zerquetschten Himbeeren, machten wir Kinder uns auf, um den Herren der Schöpfung das Geld aus der Tasche zu ziehen, denn die liebten Kinder, sie liebten vor allem kleine Mädchen, deren Onkels sie waren und die nur für kurze Zeit im Dorf waren. Und sie gaben dem kleinen Mädchen viel Geld, um es in diesen wunderbaren Erdnussspender zu stecken und dann durch durch Drehen an der Kurbel eine lose Portion Erdnüsse in die Hand zu bekommen. Ich war mächtig reich an Geld zu diesen Zeiten. Jeder meiner Onkels ließ zumindest einen Schein springen, und ich legte das Geld später in Capri-Eis an... Welch Entzücken, an einem heißen Tag Capri-Eis zu essen, ein reines wässriges Fruchteis, gut gegen Hitze und Durst und gekauft in dem einzigen Lebensmittelladen des Dorfes, der gleichzeitig auch die Poststelle inne hatte.

Capri-Eis
Ich war reich in diesen Wochen, egal ob gefühlsmäßig oder materiell, ich war reich...


Ein Haus der 60iger Jahre:

Als ich elf Jahre alt war, bauten Tante Irmgard und Onkel Friedel IHR Haus. Es war nicht besonders groß, hatte zwei Stockwerke, und unten wohnten Tante und Onkel, und oben wohnten Oma und meine Cousine Michaela. Das Haus stellte einen gewaltiger Fortschritt in hygienischer Beziehung dar, ich weiß immer noch nicht, wie sie das in dem alten Haus auf die Reihe gekriegt hatten, so ganz ohne warmes Wasser aus der Steckdose, ohne Badewanne oder gar Dusche, und dennoch waren alle immer ganz penibel sauber gewesen trotz der nur teilweisen Waschungen des Körpers. Jetzt aber in dem neuen Haus gab es eine Nachspeicherheizung, alles war wohlig warm im Winter, es gab ein Badezimmer mit einem riesigen Warmwasserboiler, und man gewöhnte sich schnell daran.

Natürlich konnten sie die Tiere nicht mitnehmen. Die Hühner, die Schweine und die beiden zickigen Ziegen wurden wohl geschlachtet, oder irgend jemand hat sie übernommen und später geschlachtet.

Es gab auch hier einen schönen großen Gemüsegarten, und das schönste am Haus war, man konnte direkt in den Wald sehen, und er war schnell zu erreichen.

Hier in diesem hellhörigen Haus der 60iger Jahre verbrachte ich die Ferien der nächsten Jahre. Es war okay. Nein, es war gut, allerdings anders als vorher in dem alten Haus, aber es war gut.

Gen Ende der Ferien erlebte ich, wenn ich Glück hatte, das Schützenfest des Dorfes. Ich liebte die beiden kleinen Schießbuden, ich liebte das Kinderkarussell mit seinen weiß lackierten Pferdchen, die vor- und zurückschwangen, ich liebte das Festzelt und die Sülzkoteletts am Sonntag Morgen (gegen den Kater), ich liebte das Tanzen zu den Klängen der Blaskapelle, und vor allem ich liebte die schrillen Klänge der Querflöten des Daarauer Spielvereins, wo der Bruder meines Vater, mein Onkel Thomas die große Pauke schlug, ich bewunderte den schwarzäugigen Typen, der eine kleinere Trommel schlug und irgendwie mit mir verwandt war, und ich hatte endlich eine Begegnung mit dem Jungen aus dem Ruhrgebiet, der hier manchmal die Ferien verbrachte, aber nicht so oft wie ich. Dieser blonde Junge, der aussah wie der Jim aus „Fury“.

Wir kamen uns tatsächlich näher und saßen irgendwann in dieser Raupe, diesem Karussell mit dem Verdeck, das war das erste Mal, dass sie so etwas hier hatten, und tatsächlich legte er den Arm um mich, aber ich glaube, ich war nicht mehr in ihn verliebt, also suchte ich danach schleunigst das Weite. Wieder eine Illusion zerstört.

Ich muss gestehen, obwohl ich nicht besonders hübsch war und eher durchschnittlich aussah, wurde ich in Daarau immer sehr umschwärmt von den Jungs. Na klar, das Mädchen aus der Großstadt! Und wie sagt man so schön: Unter den Blinden ist der Einäugige der König... Oder besser noch: In der Dämmerung werfen selbst Zwerge große Schatten... Ich war eben diese Einäugige oder jene Zwergin. Und ich hatte den Rang der Königin oder der Zwergin inne. Zumindest solange, bis meine Adoptivschwester mich vom Thron stieß... Aber das ist eine andere Geschichte, und diese Geschichte ist für mich nicht wichtig.

Ende Teil 12

(fast fertig, nur noch zwei Teile)
tschapperl - 31. Jul, 21:14

War nicht mehr ganz meine Zeit, die badezimmerlose. Ich kannte aber auch immer noch viele Leute, die nur ein Lavoir (ausgesprochen im Dialekt: "lavoa"), also eine Waschschüssel hatten und nie durch weniger Sauberkeit aufgefallen wären. Das ging auch mit - heute würden wir sagen - sparsamem Ressourceneinsatz.

Iggy - 31. Jul, 21:45

dann hattest du ja noch die gnade der

späten geburt, glücklicher!
lavoir hört sich elegant an und sauber. ich glaub auch, es kommt nicht auf die wassermenge an, die man an sich vorbeifließen lässt, um nicht zu stinken.
verwegene theorie!
antworten
tschapperl - 1. Aug, 19:26

Doch, die Menge, die man VORBEIfließen lässt verhält sich direkt proportional zum Grad der olfaktorischen Beeinträchtigung, die man seinen Mitmenschen zumutet.
antworten
Iggy - 1. Aug, 19:51

kompliziert, kompliziert...

vielleicht ist aber nur der geruchssinn schwächer geworden? oder was? :>
antworten
sravana - 1. Aug, 11:59

einfach Klasse

Deine Geschichten :-) es ist schön an ähnliche Erlebnisse erinnert zu werden.
Ich hatte einen Onkel "Güt" (er war auch nicht einer meiner richten Onkeln) einmal im Jahr kam er auf Besuch und immer brachte er einen kleinen Schoggi-Teddybär :-)

Iggy - 1. Aug, 12:29

es ist schön,

wenn man sich an solche sachen erinnert, vor allem an die guten... ;->
antworten
nömix - 1. Aug, 18:21

Toll, diese Kindheitserinnerungen. Ja, diese Handvoll Uralt-Automatennüsse, dieses giftfarbene Capri-Eis!
(wir hatten in den 60ern auch kein fließendes Warmwasser, Samstagabends wurde kesselweise Wasser am Herd heißgemacht, die riesige Zinkblechbadewanne aus der Abstellkammer geholt, mitten in der Küche aufgestellt und wir vier Kinder ALLE zugleich reingesetzt. Auch Baden war damals ein Abenteuer :)

Iggy - 1. Aug, 19:43

der samstag abend, stimmt,

das war der tag zum baden, dem himmel sei dank hab ich kaum noch erinnerungen daran, und in der großstadt war es ein wenig besser, gasboiler und so....
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