THE VILLAGE

Donnerstag, 18. Mai 2006

THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 4

Das Wetter:

Der Winter war zwar schön, aber es ist der Sommer, der meine Erinnerungen an Daarau bestimmt. Der Sommer allgemein, denn ich kann die vielen Sommer nicht mehr voneinander unterscheiden. Ich weiß nur noch, dass es nie lange warm oder gar sonnig war, immer herrschte das typische Seeklima mit den Tiefs, die von Westen her über den Everstein mit seinem kleineren Bruderhügel heranzogen. Dieser Berg, der Eberstein, beflügelte wie kein anderer Berg meine Fantasie. Es gab nämlich eine Ruine auf seinem Gipfel, genauer gesagt waren es nur ein paar riesige Steinquader, die dort wild herumlagen, aber ich fuhr öfter mit dem Fahrrad dort hin, manchmal mit meinem Cousin mütterlicherseits, wenn er auch die Ferien in Daarau verbrachte, und wir versuchten angestrengt, den geheimen Gang zu finden, der unterirdisch zu der anderen Ruine führen sollte, nämlich zu der auf der Homburg, einem Berg auf der anderen Seite des Tales. Die Grafen von Everstein sollen Raubritter gewesen sein, während die von der Homburg angeblich die ’Guten’ waren. Natürlich haben mein Cousin und ich nie den geheimen Gang gefunden. Wenn er jemals existiert hat, dann war er bestimmt lange schon verschüttet.

Diese Tiefs, die in ununterbrochener Folge über das Land zogen, brachten natürlich auch viel Regen mit sich. Ich kann mich an Jahre erinnern, da trug ich immer einen dieser braunen Nylonmäntel, während ich mit meinem riesigen Fahrrad unterwegs war. Himmel, ich kam ja im Sitzen kaum an die Pedalen heran. Ging aber trotzdem. Und dieser braune Nylonmantel, den ich über meinem Röckchen trug, war damals der letzte Schrei der Mode. Nylon war total neu, es galt als das Nonplusultra unter den Stoffen, und jeder Mann trug Nylonhemden, bis sich dann herausstellte, dass diese Hemden zwar absolut bügelfrei waren, dass sie aber nach kurzer Zeit den Schweißgeruch so verstärkten, dass der Gestank kaum auszuhalten war. Gab es damals eigentlich schon Deodorants? Aber die hätten auch nichts gebracht...

Und apropos Röckchen, richtige Hosen trugen Mädchen erst Jahre später. Meine Deutschlehrerin schaute mich an, als wäre ich nicht ganz gescheit, als ich mit meiner ersten richtigen Hose in der Schule aufkreuzte. Es war eine ganz normal geschnittene Hose. Vorher hatte es nur die sogenannten Steg- oder Skihosen gegeben, aber die passten mir nie, sie waren immer zu kurz und zogen sich im Schritt herunter, oder sie waren zu weit, wenn die Länge passen sollte. Die waren grauenhaft. Und sie waren für Jungen und für Mädchen!?!

Ich fuhr im Regen herum und suchte nach irgendeinem Jungen, der auch in Daarau die Ferien verbrachte. Ich hatte ihn zweimal gesehen und war ein bisschen verliebt in ihn. Ich muss damals so an die zwölf gewesen sein. Er war blond und sah ein bisschen aus wie der Typ in einer dieser Western-Serien, die es damals gab, nein, jetzt weiß ich’s, es war dieser blonde Typ, dieser Jim aus Fury. Was gab es damals an Fernsehserien? Natürlich Lassie, ferner RinTinTin, Corky und natürlich Fury. Meine Oma besaß noch keinen Fernseher, aber in der Großstadt hatten wir schon einen. Seltsam, ich stand immer auf blonde Männer wie zum Beispiel auf Jim, bin aber immer an dunkle gekommen. Übrigens habe ich nie rausgekriegt, wo dieser Junge wohnte, und meine Oma wollte ich nicht danach fragen. Obwohl sie es gewusst hätte.
Wenn sich endlich einmal die Sonne durchgesetzt und die letzten Wolken am Himmel vertrieben hatte, dann herrschte übergangslos hektische Betriebsamkeit. Man fuhr mit dem Leiterwagen auf die Felder, um die Getreidebündel, die man vorher zu Haufen geschichtet hatte – eine Kunst übrigens, die mittlerweile wohl ausgestorben ist – schleunigst auf die Wagen zu laden und dann schleunigst die voll beladenen Wagen zur Dreschscheune zu bringen. Es gab zwar schon Mähdrescher, aber die konnte sich keiner der Bauern leisten, auch nicht ausleihweise, und dafür gab es halt die schon elektrifizierte Dreschscheune, die jeder im Dorf benutzen konnte.

Manchmal blieb das Wetter sogar gut und entlud sich nicht gleich in heftigen Gewittern, und das war noch herrlicher. Der Himmel blieb dann strahlend blau, und ich liebte es, auf den steinigen ausgewaschenen Feldwegen entlang zu wandern. Manchmal stand noch ein bisschen Getreide hier und dort, ich weiß noch genau, dass ich den Hafer mit seinen vielen Rispen am liebsten mochte, ich pflückte Kornblumen und Klatschmohn, legte ein bisschen Hafer, ein bisschen Gerste mit langen klebrigen Spelzen, ein bisschen gedrungenen rundlichen Weizen und den etwas schlankeren Roggen dazu und hatte einen prächtigen Strauß, der allerdings nicht lange vorhielt, bis auf das Getreide. Manchmal hörte ich hoch über mir einen jubilierenden Vogelgesang, und ich wusste genau, weil meine Oma es mir gesagt hatte, dass es sich um eine Lerche handelte. Sie sang vorzugsweise in der Mittagsglut und sie schwebte so weit über mir, dass ich erst nach einiger Zeit einen winzigen schwarzen Punkt sehen konnte.

Ende Teil 4

Montag, 8. Mai 2006

THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 3

Wie man auf dem Dorf lebte:

Ein riesiger Kohleherd heizte die Wohnküche. Das Holz, das meine Oma im Sommer gehackt und feinsäuberlich zu einem dieser akkuraten großen Stapel aufgeschichtet hatte, wurde Stück für Stück im Laufe des Winters verbrannt.. Manchmal kochte sie sogar auf diesem emaillierten Ofen, obwohl sie schon einen Elektroherd hatte.

Diese Wohnküche war der gemütlichste Ort auf der Welt. Am Esstisch stand ein uraltes Sofa, das ich ‚mein Hoppsala-Sofa’ nannte, und wie der Titel schon sagte, hopste und sprang ich gewaltig auf diesem Sofa herum. Ich hab es nicht kaputtgekriegt, es war wohl von bester Qualität.

Und auf diesem Sofa konnte man wunderbar Bücher lesen, vor allem bei schlechtem Wetter, und schlechtes Wetter war eigentlich die Norm in all den Jahren. Meine Bücher bezog ich aus dem Bücherfundus meiner Tante Lisa, der jüngsten Schwester meines Vaters. Es gab da Werke wie ‚Die Blechtrommel’, ‚Lolita’ und ‚Lady Chatterly’ und vor allem die Kurzgeschichten von Daphne du Maurier, die ich mir im Alter von zehn oder elf Jahren einverleibte. Lolita fand ich irgendwie doof. Wie ich Lady Chatterly fand, weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaube aber, dass dieses Werk keinen großen Schaden an meiner kindlichen Seele angerichtet hat. Da waren andere Kräfte, nicht literarischen Ursprungs, am Werke, aber nicht in Daarau. In Daarau genoss ich die höchstmögliche Freiheit, die ein Kind genießen konnte, und ich war sogar mit zwölf Jahren noch ein Kind, heute vielleicht eine Unmöglichkeit, aber ich glaube, ich wollte nicht so schnell erwachsen werden, ich war und bin eben ein Spätzunder, bei mir dauert alles immer ein bisschen länger.

In der Wohnküche fand auch die sogenannte Vesper statt, das nachmittägliche Kaffeetrinken. Aber richtiger Bohnenkaffee wurde nur an den Sonntagen kredenzt, es gab normalerweise Malzkaffee oder frische Milch, die meine Oma immer in riesigen Kannen vom Bauern bekam. Es gab dieses herrliche Brot mit einer Oberfläche, die so glänzend aussah wie lackiert, dazu selbstgemachtes Schmalz oder selbstgemachte Ziegenbutter, die meine Oma aus der wässrigen, leicht bläulich aussehenden Milch ihrer beiden Ziegen gewann. Sie drehte solange an dem Rädchen ihrer kleinen Zentrifuge, bis sich das Fett in der Milch von den anderen wässrigen Substanzen schied. Dann wurden die so gewonnenen Fettklumpen in ein Tuch gelegt, und das Tuch wurde solange ausgewrungen, geknetet und wieder ausgewrungen, bis der letzte Tropfen Flüssigkeit heraus war. Und dann war es endlich Ziegenbutter, die immer in Kugelform auf einem kleinen Teller serviert wurde. Ich liebte diese Ziegenbutter.

Ende Teil 3

Mittwoch, 3. Mai 2006

THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 2

Wie man auf dem Dorf lebte:


Fortan verbrachte ich jedes Jahr ein paar Wochen in Daarau, so werde ich mein Dorf nennen. Meine Großmutter lebte mit ihrer zweitältesten Tochter, also mit meiner Tante Irmgard in einem dieser seltsamen Häuser, die es bestimmt nur auf den Dörfern gibt. Es war ein Fachwerkhaus, unten befand sich ein sehr großer Raum, der als Küche und als Wohnzimmer benutzt wurde. Und es gab eine große Speisenkammer, denn Kühlschränke waren noch ziemlich unbekannt oder unerschwinglich. In der Speisenkammer hingen riesige Schinken und Mettwürste. Der Schinken erinnerte – das habe ich erst später entdeckt – an italienischen Parmaschinken, der ja auch ungeräuchert und luftgetrocknet ist. Schinken, Mettwürste und auch das Schmalz stammten von einem der jeweils zwei Schweine, die im Stall des Hauses mit Essensabfällen gemästet wurden. Der Stall befand sich im gleichen Haus, und wenn man durch die Tür neben dem Kohleofen ging, kam man in eine große mit Steinen gepflasterte Halle. Geradeaus ging es in eine Art Waschküche mit einer Wassermotor-Waschmaschine, und links ging es durch einen finsteren Gang in den Stall. Meistens grunzten zwei Schweine in ihrem Koben, und wenn es Futter gab, steigerte sich ihr Grunzen zu einem verheerenden Kreischen und Quieken.

Es gab auch einen Verschlag für die Hühner, aber die liefen tagsüber draußen auf dem Hof herum oder auf der großen mit Apfel und Pflaumenbäumen bestückten Wiese.

Auch die beiden weißen Ziegen grasten tagsüber auf der Wiese, und wurden abends von Oma in ihren Stall gebracht. Ich hatte mächtig Respekt vor den beiden meist schlechtgelaunten Zicken.
Gut, das war also unten. Oben befanden sich zwei Schlafzimmer, eins wurde von Oma benutzt und von mir, wenn ich da war, und das andere gehörte meiner Tante Irmgard, die dann geheiratet hat und mit ihrem Mann Friedhelm dort lebte.

Fehlt da nicht irgend etwas? Ja tatsächlich, es gab kein Klo, und es gab auch kein Badezimmer. Nun denn, es gab schon ein Klo, aber es handelte sich um eines dieser archaischen Foltergeräte, nämlich um ein Plumpsklo. Dieses Plumpsklo war der Schrecken meiner Kindheit. Schnell verwöhnt vom städtischen Luxus fand ich es grauenhaft, in dieses finstere stinkende Kabuff zu gehen und mich auf eine der zwei runden Öffnungen zu setzen. Zwei Öffnungen? Ja tatsächlich, es war ein Zweisitzer, wahrscheinlich von wegen der Geselligkeit... Jedenfalls verspürte ich absolut keine Lust, meinen Popo dem unbekannten Grauen auszusetzen, das unter mir vielleicht lauerte. Also verrichtete ich meine Notdurft lieber am Rande des Misthaufens, und ich hoffe, es hat mich nie einer dabei gesehen...

Zum Glück gab es Nachttöpfe in den Schlafzimmern. Zum Unglück gab es keine Heizung in den Schlafzimmern, das war im Winter fatal, man musste viele Wärmflaschen vorbereiten bevor man den Gang ins Bett wagte, viele zusätzliche Wolldecken benutzen und durfte vor allem nicht die Nase aus dem Bettzeug heraushalten, sonst fror sie schnell ab. Welch entsetzliche Kälte! Dem Himmel sei Dank war ich nur selten im Winter dort, außer zu Weihnachten vielleicht. Andererseits war es im Winter wunderschön in Daarau, fast immer lag an Weihnachten Schnee, aber leider dann immer so hoch, dass man nicht Schlittenfahren konnte.

Gut, es gab kein Wasserklosett, auch kein Badezimmer, und man badete in der Waschküche in einem großen Zuber, in dem jedes Mal eine Menge warmes Wasser erwärmt werden musste. Ansonsten kann ich mich kaum daran erinnern, wie die tägliche Körperreinigung vonstatten ging. Oder hab ich’s verdrängt?

Ende Teil 2

Dienstag, 2. Mai 2006

THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald

Im Augenblick kriege ich nichts richtiges zustande, bin wie gelähmt - deswegen werde ich einfach was aus dem Fundus veröffentlichen, ein paar Kindheitserinnerung in ein paar Teilen, vielleicht jeden zweiten Tag mal etwas. Also dann:


The village- ein Dorf vor dem Wald

Der Geruch wehte mich an, als ich gerade auf irgendeinem Parkplatz aus dem Auto stieg, und dieser Geruch ließ mich erzittern. Ich kannte ihn. Er war eine Mischung aus zerdrückten Himbeeren und aus Schweinebraten. Er war der Duft meiner Kindheit, und mir stiegen unwillkürlich Tränen in die Augen, obwohl ich sonst überhaupt nie weine.

Aber das war mein Dorf, meine Ferien, meine Kindheit. Ich versuchte, mit geschlossenen Augen alle Moleküle dieses Geruchs in mir aufzunehmen, und alle Synapsen in meinem Gehirn schlossen sich zusammen, stellten Verbindungen her zur Vergangenheit, schufen Stimmungen, stellten Szenen dar, und ich glaube, für Sekunden war ich so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und dann war es vorbei, kein Geruch mehr, und ich war... nicht mehr glücklich. Ganz im Gegenteil. Es ist alles vorbei. Meine Kindheit ist schon so lange Vergangenheit, dass sie gar nicht mehr real zu nennen ist.



Seitdem ich diesen Geruch wahrgenommen hatte, war ich besessen davon, etwas über meine Kindheit niederzuschreiben, aber es scheiterte natürlich an meinen mangelnden Schreibkünsten. Meine ersten Versuche vor ein paar Jahren waren eher dazu geeignet, mir beim Lesen derselben innere Blutungen zu verschaffen. Aber so allmählich mit ein bisschen Übung bin ich vielleicht in der Lage, meine Kindheit in schriftlicher Form aufleben zu lassen. Und ich hätte dann etwas in der Hand für mich alleine, auch wenn es sonst niemanden interessiert. Was soll’s! Ich fang einfach an. Allerdings sind meine Erinnerungen ein bisschen ungeordnet, die Jahre gehen ineinander über. Aber es soll ja nur eine Imagination geschaffen werden, ein Eindruck, eine Vorstellung. Also:


Die Vorgeschichte:

Meine Eltern hatten sich gen Ende des Krieges kennen gelernt, als die Familie meiner Mutter aus der Tschechei (wurde damals so genannt) evakuiert wurde und unter der Herrschaft ihrer Patriarchin, die dann später meine Urgrossmutter wurde, in diesem Dorf im südlichen Niedersachsen strandete. Meine Vorfahren bestehen mütterlicherseits aus der ungarisch - tschechischen - kohlenpöttischen Linie und väterlicherseits aus der niedersächsischen oder besser gesagt der ostfälischen Linie. Mütterlicherseits habe ich die Figur geerbt und väterlicherseits die Farben. Mein Gesicht ähnelt keinem meiner Verwandten, höchstens der Mutter meiner Mutter. Und natürlich wurde ich evangelisch getauft, meine katholische Mutter hatte keine Chance, das zu verhindern.

1954 zogen meine Eltern mit meiner Wenigkeit (ich war vier Jahre alt) in das vielversprechende Ruhrgebiet. In den Großstädten des Ruhrgebiets gab es nämlich Arbeit, was man vom Dorf nicht gerade behaupten konnte. Mein Vater ließ seine Mutter, seinen jüngeren Bruder und die zwei jüngeren Schwestern zurück. Mein Großvater war im Krieg gefallen. Lisa, die jüngste Schwester verließ ein paar Jahre später das Dorf, sie hatte immer schon den Drang gehabt, aus der ländlichen Umklammerung, wie sie das Dorf nannte, auszubrechen. Mein Onkel heiratete ins Nachbardorf.

Ende Teil 1


(K)EIN Platz in der...
Feelings
Fotos, eigene
Fragen und Umfragen
Fragmente-oder Firlefanz
Frueher
Frustige Zeiten
Fundgrube
GARTEN
Gedichte...
Geschichten
Iggy in da house
Katzen, schwarze
Krankheit
LoVe-StOrY
THE VILLAGE
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren