Montag, 22. Mai 2006

THE VILLAGE - ein Dorf vor dem Wald 5

Was man in den Ferien so macht:

Was trieb ich sonst so? Es ist alles ein bisschen verschwommen, aber ich weiß genau, dass ich nie Langeweile hatte. Manchmal begleitete ich meine Oma zum Großbauern des Dorfes. Auf dessen Bauernhof arbeitete sie als Tagelöhnerin. Die Frau des Bauern lag schon seit Jahren gelähmt im Bett, es war ein furchtbarer Anblick, denn sie war sehr lieb und auch sehr unglücklich, dass ausgerechnet sie als Bäuerin nichts arbeiten konnte. Und es gab soviel Arbeit auf dem Hof. Jahre später, als ich an meine Oma und den Großbauern dachte, hegte ich kurzfristig den Verdacht, die beiden hätte mehr verbunden als nur die Arbeit, aber bei näherer Überlegung kam ich zu der Einsicht: Nein nicht meine Oma, sie war erstens älter als er, das hat nichts zu bedeuten, aber sie war zweitens schon älter aussehend, obwohl sie keine fünfzig Jahre alt war, ich glaube sie hat nie im Leben Kosmetika benutzt. Ihr langes mittlerweile graues leicht schütteres Haar trug sie in einem Knoten, der von einem Haarnetz geschützt wurde. Sie redete nicht viel, eigentlich nur über praktische Dinge wie Erntewetter, Geld und so. Die Briefe, die sie meinem Vater schrieb, waren natürlich in Sütterlinschrift verfasst, und sie waren genauso karg und aussagekräftig wie ihr Wesen. Sie schrieb über die Ernte und wer im Dorf gestorben war. Ich konnte diese Briefe sogar lesen, denn wir lernten in der Volksschule noch das Schreiben in deutscher Schrift. Nein, meine Oma hatte nur einen einzigen Mann gehabt, nämlich ihren Ehemann. Und mein Vater war ein uneheliches Kind gewesen. Erst nach seiner Geburt hatten meine Großeltern geheiratet. Meine Tante Lisa klärte mich darüber auf, dass früher auf dem Dorf die Männer wohl erst die Fruchtbarkeit der Frauen testen wollten. Ich fand das schrecklich. Wenn man als Frau auf die Fruchtbarkeit getestet wurde, und trotz bestandenem Test hatte der Mann keine Lust, einen zu heiraten, ja toll, dann stand man da mit der Frucht seines Bauches, mit einem unehelichen Kind, was bestimmt auch nicht gerade der Renner auf dem Dorf war. Trotz all der unchristlichen Bräuche, die dort praktiziert wurden...

Ich hatte auch Freundinnen, mit denen ich spielte, bevorzugt an diesen verregneten Tagen, aber am liebsten spielte ich mit den Katzen. Es war wunderbar, diese ausgemergelten Katzen zu liebkosen, manche von ihnen waren noch nie gestreichelt worden, denn meine Oma hatte für so einen sentimentalen Quatsch keine Zeit und auch nicht die Neigung dazu. Die Katzen mussten sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen durch die Mäusejagd. Sie wurden zwar ab und zu gefüttert, aber eher sporadisch und mit Sachen, die man heutzutage einer Katze nie geben würde. Manchmal erhielten sie ein bisschen Suppe, das war dann ein guter Tag, und manchmal ein paar zerquetschte Salzkartoffeln mit Bratensoße, das war schon ein Festessen. Serviert wurde dieses Essen in einer alten Sardinenbüchse, die natürlich nie gereinigt wurde und schon einen dicken Pelz aus nicht gefressenen Essensrückständen am Rand hatte.

Ich versuchte immer, diese scheuen Wesen an mich zu gewöhnen, und wenn es gelang, wenn sie sich anfassen und streicheln ließen und ich sie sogar auf den Arm nehmen konnte, dann hatte ich immer ein schlechtes Gewissen. Wenn nämlich meine Ferien zu Ende waren, dann gab es keine Zärtlichkeiten mehr für sie, und eigentlich sollte ich sie nicht daran gewöhnen. Es waren schon arme Wesen, sie hausten in den Ställen der Bauernhöfe, vermehrten sich unkontrolliert und litten an vielen Krankheiten. Die Katzenmütter versteckten ihre Kleinen während der ersten Wochen gut auf den Heuböden oder sonst wo. Wenn sie sich dann zum erstenmal mit dem Nachwuchs sehen ließen, trat sofort der Bauer oder sonst ein Großinquisitor auf den Plan, griff sich die Kleinen, steckte sie in einen Sack und ersäufte sie in einem der drei Dorfteiche, die wirklich idyllisch waren...

Ich glaube, das Katzenelend war das Schlimme, die dunkle Seite an Daarau.

Jahre später, als mein Vater wieder dort lebte, erzählte er mir, dass der sogenannte Jäger letztens die Kätzchen erschossen hatte. Er wollte sie nicht ersäufen, aber das Erschießen war ein fast noch grauenvolleres Gemetzel, es war vor allem viel blutiger, und danach entschloss sich mein Vater, die Kleinen zum Tierarzt zu bringen und dort einschläfern zu lassen.

„Für fünf Mark das Stück ist das nicht zu teuer“, meinte er. Mein Vater liebt Katzen, so wie ich. Ich musste ihm beipflichten. Ja doch, irgendwie. Denn sie kriegten das in den Dörfern einfach nicht auf die Reihe, die unendliche Kette des Katzennachwuchses zu unterbrechen, genauso wenig wie in der Großstadt übrigens.

Ende Teil 5

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