Der freie Wille

Er wachte auf wie an jedem Werktag, geweckt von einem miesen Schlager, der aus dem billigen Radiowecker hervordröhnte. Er stand sofort auf, pflichtbewusst wie er halt war. Er warf einen kurzen Blick auf das andere Bett. Sie lag da und schnarchte. Die Bettdecke hatte sie beiseite gestreift, und ihre dicken Beine lagen entblößt da. Er erschauerte vor leichtem Ekel und schaute schnell von ihr weg.

Im Büro war es genauso erbärmlich wie immer. Falsch, es war noch ein bisschen erbärmlicher, und er hatte den Eindruck zu träumen. Da war nämlich eine Person, die er abgrundtief hasste und die eigentlich gar nicht mehr da sollte. Sie hatte vor ein paar Jahren die Firma verlassen - und damit aufgehört, ihm die Hölle heiß zumachen.

Wieder erschauerte er. Er musste träumen. Na klar, anders war es nicht zu erklären, es konnte nicht sein, es war doch vorbei... Und dennoch fühlte er ihren Blick auf sich gerichtet, diesen gemeinen verkniffenen Blick, der neue Angriffe versprach, neue Gemeinheiten, gegen die er sich nicht zu wehren wusste.

Aber er träumte! Er konnte nur träumen, das war doch alles Vergangenheit, es war überstanden, ausgesessen und später mit anderen Leuten ausdiskutiert worden. Er hatte es überwunden, er war stärker geworden, sie konnte ihm nichts mehr anhaben, sie war Vergangenheit... Fertig aus!

Er brachte den Arbeitstag zähneknirschend hinter sich, spürte immer den Blick dieser Kuh im Nacken – und wunderte sich, als er kurz vor Feierabend zum Chef gerufen wurde.

Der Chef sah genauso widerwärtig und hassenswert aus wie immer, das war ausnahmsweise ein beruhigendes Merkmal an diesem Tag.

„Wie geht es Ihnen?“ fragte der Chef ihn jovial.

„Hmmm, geht so....“ , antwortete er vage.

„Das verstehe ich nicht“, sagte der Chef mit einem milden Grinsen. „Es ist doch alles so wie immer...“

„Das ist ja gerade das Problem!“ Er hielt sich die Hand vor den Mund. Wie hatte er das nur sagen können?

„Was wollen Sie eigentlich“, sagte der Chef, und seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch nach oben. „Wir versuchen doch nur, ihre Wünsche zu erfüllen. Wir versuchen, Ihr Leben nachzustellen. Das machen wir immer so, wenn jemand tot ist...“

„Ich verstehe nicht“, stammelte er.

„Nun denn, wir sind davon ausgegangen, dass Sie Ihr Leben geliebt haben. Sie müssen Ihre Frau geliebt haben, weil Sie es so lange mit ihr ausgehalten haben – und Sie müssen ihre Kollegen geliebt haben, sonst hätten Sie deren üble Scherze....“

„Wie, tot?“ Er fühlte ein klammes Gefühl in seinen Eingeweiden – und dann erinnerte er sich: Ein Auto war auf ihn zugerast, als er schon halb auf der Straße stand. Es gab einen lauten Knall, und dann war da nichts mehr. Und dann war er in seinem Bett aufgewacht und zur Arbeit gegangen...

„Wir sind davon ausgegangen, dass Sie sich dieses Leben ausgesucht haben.“ sagt der spöttische Mund des „Chefs“ gerade.

„Aber ich habe....“ Er verstummt, als ihm einiges bewusst wird. Und was hat er schon groß zu verlieren? Man lebt ja schließlich nicht nur einmal....
Hoshi - 26. Jul, 10:49

Ich dachte, dass Sie Ihr Leben geliebt haben....

Mit "ich dachte" fangen viele Irrtümer an!

EinText, der nachdenklich stimmt, grossartig geschrieben!

Iggy - 26. Jul, 11:12

man sollte sofort was ändern, falls es geht... ;-))
antworten
tschapperl - 26. Jul, 12:09

Du beherrschst ja auch das Mystery-Genre!

Iggy - 26. Jul, 12:38

beherrschen ist gut... ;)
aber es ist fantastisch für gewisse sachen geeignet.
antworten
Hoshi - 26. Jul, 12:48

Bei den meisten Texten weiss der Leser schon am Anfang wie er enden wird! Du hast es sehr gut drauf, deinen Geschichten eine völlig unerwartete Wendung zu geben. Das mag ich *lächel* Und zwar SEHR!
antworten
Iggy - 26. Jul, 12:58

ach hoshi! *ich freu mich!!*
antworten
Hoshi - 26. Jul, 13:14

Schön... DAS freut MICH ;-)
antworten
punctum - 26. Jul, 13:09

das ist so gut...! und gleichzeitig piekt es natürlich, weil man sich unwillkürlich fragt, ob man nicht ähnliches auf's butterbrot bekäme.

Iggy - 26. Jul, 13:16

... falls es denn noch ein leben gäbe ... *gg*
antworten
page - 26. Jul, 14:43

bin gerade zum erstenmal hier. und ich muss sagen, ich bin angetan:-)
werde wohl mal wieder vorbeischauen...

Iggy - 26. Jul, 16:43

danke schön, davon bin ich auch sehr angetan. ;))
antworten
Daniela1 - 26. Jul, 16:02

Nach dem Leben...

Irre Geschichte!
Was lernen wir daraus :Wir machen mehr aus unserem Leben!

Iggy - 26. Jul, 17:04

das ist die quintessenz! als erstes hör ich mal mit dem bloggen auf... *ggg*
antworten
Hoshi - 26. Jul, 17:19

Lach... die Entscheidung würde ich nochmal überdenken ;)
antworten
Iggy - 26. Jul, 18:09

ach ja, ich denke, ich denke, aber es führt immer zu einem ergebnis... ;))
antworten
Hoshi - 26. Jul, 22:30

So wie ich das verstehen möchte, sind wir deiner Geschichte nach selbst dafür verantwortlich, wie unsere Hölle oder unser Himmel aussieht... das was sich im Tod ANGEBLICH wiederholen soll also ;))

Deshalb tun wir nur noch Dinge, die gut tun *Ausnahmen wie Arbeit bestätigen dann die Regel* man kann im Idealfall wenigstens dafür sorgen, dass die Arbeit Spass macht *zwinker*

Himmel, das ist doch eigentlich ganz einfach *ggg*
antworten
Iggy - 26. Jul, 22:42

ja doch, so könnte es sein. man muss nur mit sich selber ins reine kommen, nicht zu unzufrieden sein, gewisse dinge schätzen und so weiter.
das gilt natürlich nur für unseren gemäßigten europäischen standard, woanders da hat man andere wünsche, vorstellungen, ist froh, dass man überhaupt lebt. leider...
antworten
Hoshi - 26. Jul, 22:59

Ja leider :'(

Deshalb habe ich Hochachtung vor wirklich armen Menschen und verachte die reichen Nörgler ohne wahren Grund!
antworten
Iggy - 27. Jul, 06:39

tatsächlich sind wir reich im vergleich zu vielen anderen, und trotzdem gibt es hier so viel neid, ich kapier das einfach nicht, muss in diesem land so üblich sein... nicht das kapieren, sondern der neid natürlich. ;)
antworten
Hoshi - 27. Jul, 09:46

Geht mir auch so...

natürlich ist Neid was "NORMALES" ich neide auch manchmal. Allerdings ist mir Schadenfreude ziemlich fremd. Ich kann mich mitfreuen. Ich habe NICHTS mehr, wenn ich anderen was neide. Ich habe auch NICHTS mehr, wenn andere Pech haben. Warum muss man sich da freudig die gehässigen Hände reiben??? Arsch hoch und selbst was tun... vielleicht wirklich das ganze Leben überdenken und dann ändern, darauf kommen die meisten nicht! Lieber geben sie dem Nachbarn mit dem grösseren Auto die Schuld *pfffft*
antworten
iggy (Gast) - 27. Jul, 11:19

was du nicht willst, das man dir tu, dass gönne auch keinem anderen. das ist ein bisschen abgewandelt, könnte es aber treffen.;)
antworten
trurl60 (Gast) - 26. Jul, 17:41

Man lebt nur zweimal? Das ist mit Sicherheit einmal zu viel. Und sonst?

Iggy - 26. Jul, 18:16

na geht so. ich verplempere gerade mein leben... *lach*
antworten
C. Araxe - 26. Jul, 18:38

So lange es Spaß macht .... :·)
antworten
Iggy - 26. Jul, 19:10

geht so, ich kann's ertragen... ;))
antworten
Iggy - 26. Jul, 19:11

man schleppt sich so dahin... *gg*
antworten
flor - 26. Jul, 18:35

so ist es, man lebt nur einmal...ausser james bond natürlich...

Iggy - 26. Jul, 19:09

war das eigentlich der gleiche bond?
ansonsten bin ich mir sicher, nein ich will, dass es nur ein leben ist. basta!
antworten
flor - 26. Jul, 20:21

du wirst auch kein zweites bekommen...nach meinen gedankengängen...

James Bond film "You Only Live Twice" Title song by Nancy Sinatra
antworten
Iggy - 26. Jul, 21:17

so soll es sein, und nicht anders!
nancy sinatra, das waren noch die 60er, heiliger strohsack.... also der alte, der erste.
antworten
flor - 26. Jul, 21:31

nee, der erste war doch "dr. no"...aber einer der ersten...
antworten
Iggy - 26. Jul, 21:48

jetzt gucke ich aber nach.
dr. no war der erste. liebesgrüße aus moskau der zweite. so weit so gut.
nee ich hab mich vertan, das remake war „sag niemals nie“ , das original war "fireball".
oder so... ;)
antworten
flor - 26. Jul, 21:58

"sag niemals nie" wurde nur gemacht weil es einen neuen bonddarsteller gab und der titel deshalb zustande kam, weil connery einmal gesagt hat, dass er kein bond mehr spielen will und das war dann wirklich der letzte mit connery...
antworten
Iggy - 26. Jul, 22:15

und er war immer noch der beste, je älter er wurde, desto besser...
also nimm dir ein beispiel dran... *gg*
antworten
flor - 28. Jul, 12:13

stimmt, er war, ist und bleibt der beste...
das ist ein gutes beispiel für mich...
antworten
Iggy - 28. Jul, 13:47

na also! ;-))
antworten
Ansuzz - 26. Jul, 19:04

Ich hab gar nicht groß Zeit, zu kommentieren. Muss GANZ SCHNELL ein paar Dinge in meinem Leben ändern.....schließlich will ich nicht auch in der Hölle landen.

Hervorragend geschrieben! Stimmt nachdenklich....

So, jetzt aber los.....kündigen, guten Typen suchen, schnell ein paar Instumente lernen.....etc. pp

Iggy - 26. Jul, 21:03

dann lern doch geige! typen kennenlernen kann man nicht erzwingen, und kündigen ist so 'ne sache... na ja, viel freien willen hat man nicht. ;))
antworten
Ansuzz - 26. Jul, 21:22

Wenns nach dem Fatalismus geht, haben wir tatsächlich keinen freien Willen *grusel*

http://de.wikipedia.org/wiki/Fatalismus

Typen kennenlernen ist nicht das Problem, aber GUTE zu treffen schon!

Nach Durchsicht meiner Finanzen hab ich mich gerade entschlossen, lieber noch ein Weilchen arbeiten zu gehen ;-))
antworten
Iggy - 26. Jul, 21:42

ich glaube eigentlich nicht an das schicksal oder an eine vorbestimmung, ich glaube eher an seltsame zufälle, die das gehirn blitzesschnell im nachhinein in einen kausalen zusammenhang stellt, in eine logische reihenfolge, aber das ist sehr trügerisch.
also angenommen, du lernst einen supertollen typen kennen, denkst an die vorsehung, denkst an das schicksal - und dann ist er verheiratet oder entpuppt sich als total bescheuert.
und der freie wille ist auch nicht mehr das, was er mal war. ;-))) also weiter arbeiten.

und ich quatsche zuviel...
antworten
Ansuzz - 26. Jul, 21:56

Solche Varianten feuern sich gleich ins aus. Gut, manchmal kan er sein bescheuert sein 'ne Weile verbergen...aber dann!!!!

Ja, das Thema Schicksal wäre ein längers. Da gab es gestern eine hübsche Diskussion zu einem ähnlichen Thema

http://pseudophilosoph.twoday.net/stories/4099705/

Hm...vielleicht sollte ich mal einen Beitrag zum Thema Schicksal schreiben.....könnte interessant werden. *fg*
antworten
iggy (Gast) - 26. Jul, 22:13

verbergen? ich glaube eher, da macht man sich selber was vor im überschwang der hormone, das geht dann nach ein paar wochen vorbei. ;))

der pseudosoph hat eine rein wissenschaftliche haltung, ich glaube, die gefällt mir. seele, undefinierbar, kann's aber geben, will ich nicht ausschließen. ein weites feld.
und schreib's doch...
antworten
Hoshi - 26. Jul, 22:35

Die wissenschaftliche Haltung ist auch mein Ding.
antworten
Iggy - 26. Jul, 22:49

nichts heilig dir ist? *lach*
antworten
Hoshi - 26. Jul, 23:01

Heilig?

Da weiss ich grad mal, wie man das schreibt ;)
antworten
Iggy - 27. Jul, 06:49

soll ich's mal buchstabieren?
also h wie heinrich, e wie emil undsoweiter. ;-))
antworten
Hoshi - 27. Jul, 10:01

Manchmal sage ich: Ach du heilige Sche*sse* Aber ansonsten habe ich nichts damit zu tun. *fg* ;-))) Ich bin in dieser Hinsicht eine sehr respektlose Person *g* das gebe ich unumwunden zu! Schicksal setzt eine Macht voraus, die die Fäden in der Hand hält. An sowas glaube ich schon mal gar nicht. Ich halte es da mich da lieber an die Theorie von Kant, mit Ursache und Wirkung, also mit dem Begriff Zufall kann ich besser umgehen

Die menschliche Vernunft hat das besondere "Schicksal" in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

Immanuel Kant, (1724 - 1804), deutscher Philosoph
antworten
Iggy - 27. Jul, 11:32

...obwohl ich es eher intelligenz nennen würde und nicht vernunft. der mensch ist kein vernünftiges wesen, denn welches vernünftige wesen würde seine umwelt zerstören.

aber trotzdem sucht man nach einem höheren sinn für sein dasein, denn das kann doch kein zufall sein... *lach*
antworten
Hoshi - 27. Jul, 11:47

frech mitlach ;)
antworten
Iggy - 27. Jul, 12:09

ist wirklich zum piepen... *piep*
antworten
Hoshi - 27. Jul, 12:21

Ohne Galgenhumor kaum zu ertragen!
Mich machen solche Leuts wütend *grmpf* ;-D
antworten
Iggy - 27. Jul, 12:23

die krone der schöpfung!!! *gg*
antworten
Hoshi - 27. Jul, 12:23

Falscher Platz für diesen Kommentar *ups*

Ich meinte jetzt die Nörgler, nicht die Gläubigen... da gibt es ja auch ganz Nette, die nicht neidisch sind ;-)
antworten
Iggy - 27. Jul, 12:33

upppss. ;)

ja soll's geben, und ich beneide sie irgendwie um ihren glauben, sie haben es einfacher...
und neidische nörgler sind so ungefähr das letzte.
antworten
Legatus - 26. Jul, 19:16

Die Dinge die man nicht mag, sollte man ändern...alles andere sorgt nur für Magengeschwüre... ^^ Sehr nette Geschichte :)

iggy (Gast) - 26. Jul, 21:09

es ist schwierig, aber machbar.
man muss es nur von der richtigen seite aus sehen... *gg*
antworten
Bermejo (Gast) - 26. Jul, 19:38

freier wille? *kreisch*
das ist doch nicht freiwillig, wenn man als toter täglich ins büro muß

Iggy - 26. Jul, 21:15

also ICH würd's nicht tun!
und man sollte am besten eine erklärung abgeben, dass man nicht an ein (besseres) leben nach dem tode glaubt.
antworten
Malte - 26. Jul, 21:44

also ich hoffe wirklich nicht dass das leben nach dem Tod soooooo schlecht ist dass man freiwillig ins Bürö geht ;-)
antworten
iggy (Gast) - 26. Jul, 22:03

oder ins labor... *kicher*

aber dann ist es wohl genauso gut oder schlecht wie im ersten leben. gewohnheitssache eben. ;)
antworten
Trick_17 - 27. Jul, 13:10

Sehr guter Text

und auf jeden Fall nachdenkenswert. So oft glaube ich, dass mein sein Leben selbst gestaltet und manchmal nur etwas Mut fehlt. Und das gehörige Quentchen Glück. Aber manchmal weiß ich einfach, dass es nicht anders ging.

Und so schlecht habe ich es ja nicht hinbekommen. ;-)

Freue mich schon auf weitere Sachen von dir.

Schönen Start in das Wochenende!

Iggy - 27. Jul, 15:59

danke evi!
manchmal gibt es so sachen, da denkt man im nachhinein: wenn du das oder dieses (nicht) getan oder (nicht) gesagt hättest, dann wäre es vielleicht anders gekommen. aber es wollte wohl nicht so sein - ich sage absichtlich "wollte" und nicht sollte - widrige zufälle waren am werk und nicht das schicksal...
aber bevor ich hier anfange zu schwafeln, wünsche ich dir besser ein schönes wochenende. ;-))
antworten

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